Tag 24: Alice Feniger | Holger Koppe-Stiftung

PAST

 

Alice Lewin Feniger (1914 –1987) 

„Als ich dieses Foto in einem staubigen, alten Umschlag fand, raubte es mir buchstäblich den Atem“, sagt Mani Feniger, Tochter von Alice Feniger. „Die Eleganz, die Ausgeglichenheit und der Komfort ähnelten nicht der Mutter, die nervös und ängstlich und besorgt war und, ehrlich gesagt, schöne Kleider und Weiblichkeit und Dinge, die Reichtum ähnelten, zu verachten schien.“ Die Frau auf dem Foto, „hätte nicht dieselbe Lebenseinstellung gehabt – oder dieselbe Persönlichkeit wie die Frau, die ich kannte … Und ich hatte das Gefühl, meine Mutter besser zu kennen als jeder andere auf dem Planeten.“

Das Foto, das Mani Feniger anspornte, die Vergangenheit ihrer Familie zu untersuchen, zeigt die Schwestern Erika (links) und Alice Lewin, ihre Mutter. Es wurde in Leipzig aufgenommen, wo die Schwestern als Töchter eines wohlhabenden Zahnarztes aufwuchsen. 

Alice hatte ihrer Tochter sehr wenig über ihr früheres Leben erzählt – abgesehen davon, dass sie aus einer wohlhabenden Familie stammte, sie ihre Eltern gehasst hatte, ihr Vater ein nicht beanspruchtes Schweizer Bankkonto besaß und sie „das Glück hatte, Deutschland früh zu verlassen“ (1935).

Als ihre Tochter auf dieses und weitere Fotos stieß, fragte sie sich immer wieder: „Warum hätte meine Mutter nicht gewollt, dass ich sie jung und schön gekleidet sehe? Hätte sie nicht gewollt, dass ich von diesem Leben erfahre? Hätte diese Frau mir nicht erstaunliche Geschichten zu erzählen gehabt? Und warum hat sie es nicht getan?“

Bei ihren Recherchen fand sie heraus, dass ihr Großvater Max Lewin bereits 1932 an einem Herzinfarkt starb. Verstört von seinem Tod, unternahm ihre Großmutter Nelly einen Suizidversuch, an dessen Folgen sie neun Monate später verstarb. Mehrere Verwandte wurden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet.

Alice Feniger schien sich in den USA von ihrer Vergangenheit, aber auch von ihren Eltern, dem grausamen Vater und der sie nicht schützenden Mutter, distanziert zu haben, als ob „dieses Leben einer anderen Person gehörte und nicht ihr“, so ihre Tochter. Sie reist 2005 nach Leipzig und entzündet Kerzen auf dem kargen Grundstück des Wohnhauses ihres Großvaters, spricht ein Vergebungsgebet. Das Gebäude im Musikviertel war im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört worden. Auf dem Boden kniend bittet sie darum, den Schmerz zwischen ihrer „Mutter und ihrer Familie“ zu beruhigen und „das Trauma zwischen Deutschen und Juden anzuerkennen und zu vollenden. Von diesem Tag an kein Opfer, kein Unterdrücker.“

 

Siehe: Website von Mani Feniger 

 

 

PRESENT

 

Holger Koppe-Stiftung

wurde 2013 mit den Zwecken Musik und Erinnerung gegründet und ist in Frankfurt am Main und in Leipzig aktiv. Im Bereich der Musik liegt ihr Schwerpunkt nicht in der Förderung einzelner Musiker, sondern vor allem in der Verbreitung und Vermittlung des Zugangs zu ernsthafter Musik, insbesondere für junge Menschen, und der Wiederentdeckung von im Nationalsozialismus verfolgten, vertriebenen, ermordeten und später vergessenen Komponisten.

In ihrer Unterstützung von Erinnerungskultur will die Stiftung über das Wachhalten der Erinnerung an Opfer von Gewaltherrschaft, wie z. B. dem Nationalsozialismus, einen Beitrag zur Toleranz und zur Achtung der Menschenrechte leisten.

 

Webauftritt

 

Bild: Buchcover Mani Feniger: The Woman in the Photograph, El Cerrito 2012.
Bild: Buchcover Mani Feniger: The Woman in the Photograph, El Cerrito 2012.